Warum einen Schwerpunkt setzten?
Vor neun Jahren begann ich mein Berufsleben als Sprachtherapeutin mit gemischten Gefühlen. Ich freute mich auf ein selbstständiges Arbeiten, ein Team, einen eigenen Therapieraum, neue Patienten, auf das Ausprobieren und die Anwendung der Theorie. Anderseits hatte ich großen Respekt vor dem, was vor mir lag. Mit dem fünfmonatigen Neurologie-Praktikum und anschließender Bachelorarbeit, war ich ein Jahr lang „draußen“ aus der Kindertherapie. Es überraschte mich sehr, was ich doch alles gelernt hatte und was ich nun anwenden konnte. Ich sah ein Kind und dahinter die Dozentin, die mir den theoretischen Hintergrund im Studium lieferte. So stand für mich erst einmal die praktische Umsetzung und das Lernen beim Therapieren am Patienten im Vordergrund.
Nun sitze ich im Zug nach Köln und ich darf wieder lernen. Auf dem Weg zum dritten von sechs Modulen meiner jetzigen Weiterbildung, lasse ich die letzten Jahre mal im Schnelldurchlauf Revue passieren. Damals als Berufsanfängerin dachte ich mit keiner Silbe daran, eine Fortbildung oder eine Weiterbildung zu besuchen. Fertig mit dem Logopädiestudium, war ich hungrig nach der Praxis und dem Umsetzen des Gelernten. So stürzte ich mich zu Beginn auf jedes Störungsbild, um so viel Erfahrungen zu sammeln, wie möglich. Und, um mir alles offen zu halten: Flexibilität, Arbeit mit allen Altersgruppen, Abdecken eines weiten Feldes an Patienten.
Jetzt, wo ich mich in Etappen weiterbilden darf, habe ich die Möglichkeit, die Theorie sofort umzusetzen, anders als im Studium. So erging es mir schon zur Fortbildung im Bereich Dysphagie (Schluckstörung) bei Erwachsenen, welche insgesamt drei Module umfasste, die in mehreren Monaten Abständen durchgeführt werden. Der Nährwert, den Dozenten ein weiteres Mal zu sehen und nochmals Fragen zu stellen, Fallbeispiele zu besprechen und Themen zu wiederholen, ist riesig. Anschließend hatte ich große Lust das neu erhaltende Wissen direkt anzuwenden. Daher kam es dazu, dass ich fast nur noch Dysphagiepatienten behandeln wollte. Im Bereich Kindertherapie einen Schwerpunkt zu setzen, war damals für mich noch undenkbar.
Durch den Wechsel meines Arbeitsplatzes, hatte ich das große Glück auf sehr engagierte Kollegen und Kolleginnen zu stoßen, welche immer bereit sind, in die Diskussion zu gehen. Das interdisziplinäre und sehr viel größere Team, ermöglichte mir einen stetigen Austausch. Auch kamen ganz andere Störungsbilder in diese Praxis, als in die letzte, in der ich angestellt war, aus welchen Gründen auch immer. So lenkte sich meinen Blick sehr schnell auf schwer betroffene Kinder oder Kinder mit einer komplexeren Diagnose. Mein Arbeitgeber ermöglicht zu jedem Zeitpunkt regelmäßige Gespräche und Hospitationen, auch interdisziplinär, welche ich mit großem Interesse nach ging. Kolleginnen werden zu Dozentinnen und dadurch ergibt sich das Erlernen neuer Techniken, die man selber spüren und anschließend am Patienten ausprobieren kann. Erst dadurch warf ich einen ganz anderer Blick auf den Patienten und mein therapeutisches Arbeiten. Ich wollte mehr, als „nur“ die üblichen logopädischen Therapien durchführen. Nun war ich wieder hungrig, diesmal nach etwas Neuem, ich suchte die Herausforderung. So entschied ich mich für einen Bereich, indem ich bisher kaum bis keine Erfahrungen sammeln konnte: Fütter- und Schluckstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Kaum hatte ich mich für die Weiterbildung angemeldet, meldeten sich auch die Kinder bei uns in der Praxis an. Nie werde ich den ersten Säugling in meinem Raum vergessen, neun Monate alt und Schwierigkeiten beim Füttern von Brei. Schon nach der zweiten und dritten Einheit wurde ich sicherer im Umgang mit dem sehr kleinen Patienten und seiner Mutter. Ich habe auch jederzeit die Möglichkeit mit Fragen auf andere Kolleginnen zuzugehen. Dennoch stehe ich am Ende dem Säugling, dem Kleinkind und seiner Mutter oder seinem Vater alleine gegenüber. Die erste Behandlung in diesem Bereich ist nun schon sechs Monate her und ich durfte seitdem weitere tolle Erfahrungen machen. Die Fortschritte sind eher kleinschrittig, aber die Freude der Kleinen und der Eltern umso größer. Noch habe ich bei jeder neuen Aufnahme zu dem Störungsbild Herzklopfen, was aber ziemlich schnell verfliegt, wenn ich merke, wie viel Vertrauen mir die Eltern gegenüber aufbringen. An solchen und weiteren Erfahrungen möchte ich dich in Zukunft gerne teilhaben lassen.